Kommentar zum HNA Artikel vom 20.06.23
„Sensoriklabor am Auedamm wird auf Buga-Gelände erweitert: Spielerei oder nützlich?“
https://www.hna.de/kassel/suedstadt-ort92873/spielerei-oder-nuetzlich-92352333.html#id-Comments
André Boeing, urbangrove.de / cyberhippie.eu
Die Hauptfrage des HNA Artikel Titels, ob das Sensoriklabor AUREA denn Spielerei oder nützlich sei, kann ich als extern Verantwortlicher für den AR Avatar KP Haupt und AUREA Citizen Science aus meiner Sicht schnell beantworten: Ja! Sowohl Spielerei als auch Nützlich.
Spielerei hat in der lebenslangen Bildung einen sehr hohen Wert, weil eine spannendere Form von Lernen alters-übergreifend aktiviert wird. Spielen war schon immer nützlich und wir alle haben dadurch am schnellsten gelernt. Natürlich ist Spielen nicht immer automatisch sofort nützlich und doch ist es das Spielen, das viel schneller zwischen nützlich und nicht-nützlich, sowie dem Spektrum zwischen den Polen unterscheiden kann. Es hat von Natur aus den Mut, zu experimentieren und zu forschen. Wunderbare Fehler zu machen und es dann agil anders zu probieren. Spielen legt auch einfach in Iterationen los und labert nicht so viel in strategischen Meetings bei Kopfplanungen für Zielgruppen und Roadmaps für Bereiche, in denen es noch keine fertigen „Roads“ gibt und wir erst Neuland erkunden müssen.
Aber kostet das Ganze für pädagogische Spielereien nicht viel zu viel? Die Produktion des AR Avatars mit KP Haupt z.B., die im Artikel als Beispiel herangeführt wird und die KP kurz vor seinem plötzlichen Lebensende viel Freude bereitet hat, hat nicht einmal 1000€ gekostet und ist so konzipiert, dass die für viele Menschen ganz neue Erfahrung einer Augmented Reality durch ihr eigenes Smartphone und ohne Installation einer App ermöglicht wird und von Allen, die interessiert sind, mitgestaltet werden kann. Die ganze App läuft über eine Bildungssoftware, einfachen Werkzeugen und wurde vom Futurespace Kassel kostenlos für das AUREA Projekt bereitgestellt. Im nächsten „Upgrade“ gemeinsam mit einem Team Interessierter sind die Sensorwerte verlinkt und es sind z.B. auch Quiz Spiele verfügbar, die das Wissen zu Klimadaten spielerisch testet. 641 Menschen haben in 3 Monaten diese kleine AR Erfahrung ausprobiert. Wir sind damit zufrieden.
Wir möchten als Netzwerk aus Bürger:innen und gemeinnützigen Bildungsräumen gemeinsam mit und unter dem Dach Smart City Kassel für die Themenfelder Klima + Sensorik sensibilisieren. Da steckt doppelt Sense – Sinn drin. Für Sensorik sensibilisieren heißt auf Bürger:innen Ebene als Person und Gruppen: Das bewusste Wahrnehmen von miteinander verwobenen Klimasystemen durch unsere Sinne selbst schärfen, das Verständnis für technische Sensoren und Klima-/Umwelt Werte erweitern und den Einfluss von Maßnahmen erproben + erkennen können. Ein “Echtzeit Feedback“ über Zusammenhänge und die Wirksamkeit von verschiedenen Lösungsansätzen erhalten und z.B. nicht erst in einem Jahresbericht irgendwann in Q2 im nächsten Jahr von einer auserwählten Kleingruppe mit vor der Öffentlichkeit verschlossenen Daten.
Wir generieren offene Daten (Open Data), die von Bürger:innen – ganz gleich ob Schulgruppen oder Seniorenprojekte – ausgewertet werden können. Citizen Science. Nicht, weil wir jetzt alle dadurch zu Wissenschaftler:innen geworden sind, sondern weil wir alle Wissenschaftlich arbeiten können. Denn auch wir als Bürger:innen können Wissen schaffen und Erkenntnisse gewinnen, an konkreten Lösungsansätzen teilhaben, insbesondere gemeinsam mit Wissenschaftler:innen und Stadtverwaltung. Und hier wird auch der experimentelle Laborcharakter deutlich und warum es Reallabor heisst. An realen Orten unter realen Bedingungen messen, insbesondere Langzeit-Ergebnisse generieren und Lösungsansätze für Verbesserungen erproben.
Denn wir wollen primär mehrfach belastete Quartiere (z.B. durch Luftverschmutzung oder zu hohen Temperaturen) in unserer Stadt schnell identifizieren können und dafür Lösungsansätze entwickeln. Wir wollen wissen, ob wir Richtwerte bereits überschreiten und dann sogar in der Handlungspflicht sind. Wer unzureichend misst, weiß nicht, wann die Werte überschritten sind.
Neben dem AUREA Gelände sind wir an verschiedensten Orten in der Stadt mit dem Aufbau eines Klima-Sensorik Netzwerks beschäftigt, das ebenfalls von Bürger:innen von Jung bis Alt, Initiativen und sozialen Einrichtungen mit gebaut und betrieben werden kann. Hier sind bereits ein Seniorenheim, eine Schule, Privatpersonen, das inklusive PIKSL Labor, der an 7 Tagen geöffnete Futurespace in der Innenstadt und weitere am Netz (opensensemap.org). Wir bauen und optimieren gemeinsam, wir erkunden gemeinsam Auswertung, künstlerische Darstellung und „Sinnhaftigkeit“ der Daten.
Wir Menschen messen konstant und als unbewusste Körperprozesse z.B. unsere Körpertemperatur, unseren Blutdruck, die Luftqualität durch unsere Nasen und Lungen, den Wasserstand („De-Hydriert“ oder Blase voll ;), Geräuschbelastungen oder Gefahren durch unsere Ohren. Das machen wir ganz unbewusst und unsere Körper regulieren sich, wenn einige „Messergebnisse“ auffällig und schädlich werden. Wir sind also in gewisser Weise bereits alle „Körper Klima Sensorik Expert:innen“. Wir kennen das bestimmt auch Alle von uns, dass wir wichtige „Sensordatenwarnungen“ unseres Körpers einfach überhören. Das kennen wir auch in Sachen Klimaschutz, was Nichts anderes heißt als der Schutz unserer re-generativen Lebensgrundlagen als biodiverse Gemeinschaft unter einem „Dach“ über sehr, sehr lange Zeiten – nicht nur bis zu den Enkeln.
Sensorik, Wahrnehmen, Erkennen von miteinander verwobenen Klimasystemen, die auch keine menschlichen Grenzen anerkennen… und gemeinsam ins sinnvolle Handeln kommen. Da sitzen wir alle im „Wasser bis zum Hals“ und in einem Boot. Und wenn wir da schon so sitzen, könnten wir ja auch gleich gemeinsam auf die Reise gehen und Inseln erkunden. Dafür müssen wir das miteinander rudern, nicht gegeneinander rudern einüben, weil wir sonst weiter stehen bleiben.
Wir sind gut miteinander in Bewegung im AUREA Netzwerk: als Bürger:innen, gemeinnützige Bildungsorganisationen, Senioren und Jugendliche, Menschen mit Behinderungen, Beeinträchtigungen, Vertriebenen und Geflüchteten, gemeinsam mit Stadtverwaltung und -Konzernen…kurzum mit Allen, die mitgestalten wollen… Allein das empfinde ich nach nur wenigen Monaten im jungen Entwicklungsprojekt und Reallabor als großen Erfolg und in gewisser Weise auch als große Innovation.